Plenarvorträge

Wir freuen uns sehr für die Tagung vier wunderbare Plenarsprecher/innen gewinnen zu können. Und wir freuen uns nicht nur auf ihre Hauptvorträge, sondern auch auf die Respondentinnen: (Fast) jeder Vortrag wird begleitet von der Respons einer
Sprechwissenschaftlerin. Für diese Diskussionsimpulse konnten wir hervorragende Kolleginnen gewinnen. So sollen die Vorträge auch Einladung zu einer lebendigen fachlichen Diskussion werden, auf der Tagung und vielleicht darüber hinaus. Sie finden hier die Beiträge geordnet nach ihrer zeitlichen Abfolge auf der Tagung.

Plenarsprecher/innen

copyright maurice weiss 2010

copyright maurice weiss 2010

Reinhart Meyer-Kalkus

ist Wissenschaftlicher Koordinator am Wissenschaftskolleg zu Berlin und Apl. Professor für Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Potsdam. Nach dem Studium in Bochum und Göttingen arbeitete er für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Bonn und Paris. 1992 wurde er ans Wissenschaftskolleg zu Berlin berufen. 1996 habilitierte er sich an der Universität Potsdam. 1998/99 war er Research Fellow am Getty Research Institute in Los Angeles. – Seine Forschungsschwerpunkte sind Literarische Vortragskunst, Deutsche und französische Literatur (17.-20. Jahrhundert), Musik und Medien, Internationale wissenschaftliche Kooperation. – Einige neuere Publikationen sind: Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001; György Ligeti/Gerhard Neuweiler: Motorische Intelligenz. Zwischen Musik und Naturwissenschaft, hg. R. Meyer-Kalkus, Berlin 2007; Stimme und Atemsyntax in Vortragskunst, Prosa und Musik, in: Musik und Ästhetik, 51/2009, S.73-106; Zwischen Pathos und Pathosschwund – Sprechkunst in Deutschland nach 1945, in: Passions in Context. International Journal for the History and Theory of Emotions, No.1, Internet-Publikation, 2010 (deutsche und englische Version); Beredt-überdreht. Appelle an die Stimmen der Überlieferung (Gedankensplitter zu Kompositionen von Jörg Widmann), in: Journal for Musicology, Internet-Publikation, Bukarest 2010; Akusmatische Extensionen im sonoren Kino. Überlegungen zu Michel Chions Theorie der Audio-vision, in: Bild und Stimme, hg. M. Butte und S. Brandt, Basel Eikones 2011; Toshio Hosokawas ‚Sternlose Nacht‘, in: Programmheft der Dresdner Philharmonie in der Frauenkirche, Dresden 2010, S.6-14.
Adresse: Wissenschaftskolleg zu Berlin, Wallotstr.19, 14193 Berlin, Email: rmk@wiko-berlin.de

Die Vortragsstimme. Überlegungen zur schriftgebundenen Vortrags-Mündlichkeit.

Schriftgestützte bzw. -gebundene mündliche Kommunikationsformen haben eine konstitutive Funktion in sozialen Austausch- und Kommunikationsprozessen unserer Gesellschaft. Für Bereiche wie Recht, Religion, Erziehung, Wissenschaft, Politik, öffentliche Meinung und ästhetische Kommunikation sind sie offenbar nach wie vor unverzichtbar. Zu den schriftgebundenen Sprechakten gehören etwa Plädoyers und Urteilsverkündigungen vor Gericht, Predigten und liturgische Rituale in Kirchen und Religionsgemeinschaften, Vorträge, Vorlesungen und Referate in Schulen, Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen, Reden, Kommuniqués, Festansprachen und Nachrichtenablesen in Politik und Öffentlichkeit, Lesungen auf Vortragsbühnen und im Radio. Ich bezeichne diese, jeweils auf unterschiedliche Weise schriftgestützten mündlichen Sprechakte im folgenden als gebundene Vortrags-Mündlichkeit und grenze sie von der Alltagskommunikation ebenso ab wie von Zwischenformen wie der ungebundenen Vortrags-Mündlichkeit, wie sie in improvisierten Ansprachen, Toasts, Spontanreden etc. zu finden ist.

Theaterwissenschaftliche Ansätze zur Analyse solcher Vortragsformate sind in eine Sackgasse geraten, weil sie die Verbindung zwischen dem zugrunde liegenden Text und seiner Performance systematisch kappen und die Vortragsstimme lediglich im Hinblick auf Lautlichkeit, Klang und Rhythmus thematisieren. Demgegenüber stellt ein in der amerikanischen Folklore-Forschung für die Oral Poetry entwickelter Ansatz die Sprachlichkeit des Vortrags in den Mittelpunkt und entwickelt dafür analytische Kategorien wie Performance, Kunstfertigkeit, Verständnisschlüssel und Interperformativität. Mein Vortrag knüpft daran an, indem er ein theoretisches Modell zur Analyse der Vortragsstimme skizzieren wird. Er endet mit Hinweisen auf die aktuelle Entwicklung vieler Formate schriftgebundener Vortragsmündlichkeit unter dem Diktat eines performativen Imperatifs.

Respondentin: Annegret Müller

Annegret Müller, Sprecherin und Sprecherzieherin, Professorin für Sprechkunst an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart und Institutsleiterin am Institut für Sprechkunst und Kommunikationspädagogin. Studium der Sprecherziehung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Künstlerische Arbeiten zu Stimme, Sprechperformance und Sprechausdruck. Fortbildungstätigkeiten im Bereich Sprechpädagogik und angewandte Rhetorik. Trainings und Coachings.
Sprechkünstlerische Kooperationen insbesondere mit Musikern in Verbindung von Musik und Sprechstimme,
Musik und Sprache. Rezitationen.

VerenaSchulzVerena Schulz

LMU München.
Verena Schulz ist Postdoktorandin im Fach Latinistik an der LMU München. Nach dem Studium der Allgemeinen Rhetorik, Lateinischen Philologie und Älteren deutschen Sprache und Literatur in Heidelberg, Tübingen und Oxford wurde sie 2012 in München mit einer Arbeit über die Stimme in der antiken Rhetorik promoviert (erschienen als „Die Stimme in der antiken Rhetorik“, Hypomnemata 194, Göttingen 2014). Ein Forschungsschwerpunkt ist weiterhin das Verhältnis zwischen der Rhetorik und anderen antiken Wissenschaften wie der Musik und Medizin: Wie klangen die Redner in der Antike? Worauf haben Politiker wie Demosthenes und Cicero beim
mündlichen Vortrag Wert gelegt? Wie haben sie ihre Stimme gepflegt und wer hat sie in ihrem Training für die kraftraubenden Reden ohne Mikrophon und vor großen Menschenmassen im Freien unterstützt? Zuletzt Forschungsaufenthalte in Berkeley, Princeton und Seattle zur antiken Rhetorik und zum Habilitationsprojekt über die Dekonstruktion der Selbstdarstellung exzentrischer Kaiser in der römischen Historiographie.

Die Stimme in der antiken Rhetorik

Die öffentliche Rede vor dem Volk, dem Senat oder vor Gericht bot dem Politiker und Anwalt der Antike das entscheidende Forum, auf dem er seine Ansichten präsentieren und durchsetzen konnte. Daher galt der Vortrag auch als das Wichtigste beim Reden und die Stimme als das wertvollste Instrument des Vortragenden. Doch Redner wie Cicero und Demosthenes hatten keine technische Unterstützung. Wenn sie stundenlang vor großen Menschenmassen und ohne Mikrophon sprachen, stellte das gerade an ihre Sprechkunst besondere Anforderungen. Der Vortrag erläutert, wie die antike Rhetorik mit dem Medium Stimme umging. Ausgehend von unseren schriftlichen Quellen wird zunächst überlegt, was die Stimme des Redners alles leisten sollte: Wie wurden z.B. die Gefühle des Redners und sein Charakter stimmlich abgebildet? Im Anschluss wird gezeigt, wie die antike Rhetorik durch Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, z.B. der Schauspielerei, Musik und Medizin ihr Ideal von der Stimme entwickelte und in der Praxis umsetzte.

Respondentin: Christa Heilmann

Prof. Dr. phil. habil., geb. 1946 in Leipzig. 1965-1970 Studium der Sprechwissenschaft und Germanistik an der Martin-Luther-Universität Halle. 1972 Promotion zur Dr. phil. 1972 – 1987 an den Universitäten Halle, Leipzig und Torun (Polen) als Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Rhetorik und Phonetik tätig. Verheiratet, 3 Kinder. 1987 Übersiedelung in die BRD. 1987-1990 freiberufliche Rhetoriktrainerin im Öffentlichen Dienst und in der freien Wirtschaft. 1990 – 2012 Leiterin der Abteilung Sprechwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. 2001 Habilitation auf dem Gebiet sprechwissenschaftlicher Gesprächsanalyse. Seit 2007 Kommunikationsseminare für Ärzte in Palliativausbildung, für Krankenschwestern und Pfleger im Kontext von Palliativ-Care-Fortbildung, Kommunikationsmodule im Curriculum für Ehrenamtliche in der Hospizarbeit. Forschungsschwerpunkte: Sprechwissenschaftliche Gesprächsforschung, Gender-Studies in der Rhetorischen Kommunikation, Nonverbale Kommunikation/Körpersprache, Gesprächsanalyse Kommunikation im Palliativkontext

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(ZHdK, Zürich)

Anton Rey ist Professor für Theatertheorie und Dramaturgie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Er lehrt und forscht seit 2002 in den Bereichen Film, Tanz und Theater und leitet seit 2007 das Forschungsinstitut für Performing Arts und Film (IPF). Hier entwickelte er die Forschungsschwerpunkte „Performative Praxis“ und “Filmwissen“ aus Perspektiven der praktischen Ästhetik, der angewandten Dramaturgie und der anwendungsorientierten Grundlagenforschung für die Bereiche Film, Tanz und Theater.Zuletzt Lehrtätigkeiten in Brasilien (2014), China (2013), Indien (2012) und Gastdozent an der University of California Santa Barbara (2012).

Studium der Theater- und Filmwissenschaft an der Universität Zürich und der Freien Universität Berlin, ab 1985 Arbeiten als Regie- und Dramaturgieassistent, später Produktionsleiter, Dramaturg und Regisseur. Zahlreiche eigene Inszenierungen sowie Zusammenarbeit mit den Theater- und Filmemachern Peter Stein, Peter Zadek, Robert Wilson, Heiner Müller, Klaus-Michael Grüber, Wallace Shawn, Heiner Goebbels, Wim Wenders, Herbert Achternbusch, Michel Deville.
Seit 2015 Mitglied im PEEK Board des Österreichischen Wissenschaftsfonds.
Weblink: http://ipf.zhdk.ch

Jüngere Publikationen
– Rey, A., German Toro Perez (Hg.): Disembodied Voice. Ein Forschungsprojekt. (subTexte 10) Mit 1 DVD oder Blue-ray Disc. Zürich 2015
– Rey, A., Mani Wintsch (Hg.): Lektionen für den professionellen Schauspieler – Michael Tschechow. (subTexte 09). Zürich 2013
– Maurer, Dieter: Akustik des Vokals – Präliminarien. (subTexte 08). Hg. von A. Rey. Zürich 2013
– Rey, A., Hajo Kurzenberger, Stephan Müller (Hg.): Wirkungsmaschine Schauspieler – Vom Menschendarsteller zum multifunktionalen Spielemacher. (subTexte 06).  Zürich 2011
– Rey, A., Stefan Schöbi (Hg.): Künstlerische Forschung – Positionen und Perspektiven (subTexte 03). Zürich 2009.

Disembodied Voice. Film und Diskussion

Das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Forschungsprojekt DISEMBODIED VOICE untersuchte 2012-15 Phänomene der technischen Manipulation der Stimme. Dabei wurden elektroakustische Transformationen und die 3D-Klangprojektion mit «Ambisonics» auf eine bühnenpraktische Anwendung hin erforscht und in einem interdisziplinären Zusammenspiel von Theaterwissenschaft, Soundtechnologie und Theaterpraxis Einsatzmöglichkeiten der mediatisierten Stimme erprobt. Im Fokus lag die Wirkung der Stimmanwendung auf den Akteur selbst, sowie das Potential spezifischer Stimmmerkmale für Gestaltung, Interaktion und Klangtransformation im Bereich des Sprechtheaters.

Anlässlich der Marburger Tagung werden das Projekt und ein „Filmischer Essay“ präsentiert und anschließend diskutiert. Gleichzeitig dient die Erstaufführung als Vernissage für den Sammelband DISEMBODIED VOICE mit DVD/BluRay (Alexander Verlag, Berlin 2015).

GF_Stetoskop_B.Abicht_ganzkleinGolo Föllmer

Ausbildung zum Klavierbauer, Studien der Musik- und Kommunikationswissenschaft (TU Berlin) sowie Broadcast Communication Arts (San Francisco State Univ.). Radio- und Tonbandstücke sowie Klanginstallationen- und -objekte. Texte zu Klangkunst, zeitgenössischer Musik, Radio und akustischen Medien. Mitwirkung bei der Gesamtüberarbeitung des Riemann-Musiklexikons. Kuratorische Mitarbeit u.a. bei sonambiente (AdK Berlin 1996), net_condition (ZKM Karlsruhe 1999), RadioREVOLTEN (Radio Corax, Halle 2006) und SoundExchange (Mittelosteuropa 2011-12). 2002 Promotion über Netzmusik am Institut für Musikwissenschaft, 2007-2013 Juniorprofessor, jetzt PD mit dem Schwerpunkt Audiokulturforschung am Dept. Medien- und Kommunikationswissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dort seit 2010 Leiter des weiterbildenden Master-Studiengangs Online Radio. Seit 2013 Leiter des EU-Forschungsprojekts Transnational Radio Encounters, in dem er den Einfluss ästhetischer Merkmale von Radioprogrammen auf deren Erscheinung und Gebrauch untersucht.

Radio, Sound und Rhetorik.
Radioästhetische Analyse aus rhetorischer Perspektive 

Der Vortrag skizziert, inwieweit rhetorische Theorie zur ästhetischen Analyse aktueller Radioformate genutzt werden kann. Als Beispiel dient der interdisziplinäre Ansatz des informellen Forschungsnetzwerks „Radioästhetik — Radioidentität“ zur empirischen Erforschung der ‚Anmutung‘ des Radios. Unter Anmutung wird die klangliche Gesamterscheinung eines Senders, Formats oder Programms verstanden, die bei Radiohörern einen spontanen, unreflektierten Eindruck, eine gefühlsmäßige Bewertung erzeugt und sie – im besten Falle – einlädt weiterzuhören. Voraussetzung für einen adäquaten Adressatenzuschnitt im Radio ist, dass Radiomacher bei der Anmutungsherstellung das (vermeintliche) Wissen und die (vermeintlichen) Erwartungen, Interessen und Einstellungen konkreter Hörergruppen berücksichtigen. Insofern lässt sich Radio als rhetorische Praxis beschreiben.

Im Vortrag wird gezeigt, wie theoretische Modelle der Rhetorik auf die kommunikationstypologischen Hybride des Radios, also auf Kombinationen aus sprachlichen und nichtsprachlichen Mitteln, übertragen werden können. Dabei werden medien- und musikwissenschaftliche Fragestellungen (Golo Föllmer) mit sprechwissenschaftlichen (Ines Bose) verknüpft:

  • Zunächst wird diskutiert, welche rhetorische Bedeutung medientechnische Apparate und Dispositive besitzen können und inwiefern sich technisch geprägte Produktionschemata rhetorischer Muster bedienen.
  • Anschließend wird am Beispiel sogenannter Verpackungselemente wie Station ID oder Bumper erörtert, welche Rolle Prinzipien der musikalischen Rhetorik bei der Strukturierung und Aufmerksamkeitslenkung im Radioprogramm spielen können und inwiefern musikalisch-klangliche und sprachliche Elemente nach rhetorischen Prinzipien interagieren.
  • Schließlich wird anhand des standardisierten Sendeelements ‚Three-Element-Break‘ in Unterhaltungssendungen verschiedener Länder gezeigt, wie zur wirkungsvollen Gestaltung der Kontrast zwischen sprachlicher Knappheit (brevitas) und klanglichem Aufwand (ornatus) genutzt wird.

Die übergreifende These lautet, dass Rhetorik nicht nur auf die sprachlich-sprecherische Gestaltung von Alltagsradio bezogen werden kann, sondern weit in apparative, produktionstechnische und den Sendeablauf bestimmende Strukturen hinein wirksam ist. Rhetorische Theorie kann somit das Verständis medienästhetischer Formationen umfassend erweitern.

Respondentin: Ines Bose

Ines Bose, Diplom-Sprechwissenschaftlerin, Prof. Dr. phil. habil. am Seminar für Sprechwissenschaft und Phonetik der Martin-Luther-Universität Halle (Saale). Studium der Sprechwissenschaft in Verbindung mit Germanistik, Promotion 1989 mit einer Arbeit zur phonetisch orientierten Forschung frei gesprochener Sprache, Habilitation 2003 mit einer Arbeit zum Sprechausdruck in kindlicher Spielkommunikation. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: rhetorische Kommunikation, insbes. Medien- und Gesprächsrhetorik, Phonetik der deutschen Sprache, Entwicklung kindlicher Kommunikationsfähigkeiten. Fortbildungstätigkeit: Trainings und Coachings zu Sprache und Sprechen in den Medien, zur sprechwissenschaftlichen Leselehre, Trainings zur Phonetik, Gesprächs- und Rederhetorik sowie Sprecherziehung im Fremdsprachenunterricht Deutsch.

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